
KINDER VOR 2022 - der neue Jahresbericht ist da!
Das Vorarlberger Kinderdorf war 2022 in allen Angeboten stark gefordert. Die hohen Belastungen im Alltag machen mehr psychosoziale Unterstützung für Kinder und Jugendliche sowie erschöpfte Familien nötig.
„Angst ist wie ein Käfig. Wenn du dich der Angst stellst, wirst du stark.“ Diese Aussage stammt von Nele (14), deren Familie vom Familiendienst des Vorarlberger Kinderdorfs begleitet wird. Der Familiendienst ist einer von sieben Fachbereichen des Vorarlberger Kinderdorfs, die im Vorjahr 4233 benachteiligten Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien zur Seite standen. Die vielfältigen Angebote reichen von Alltagsunterstützung belasteter Eltern bis zur intensiven Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, um sie wieder in ihr soziales Umfeld zu integrieren. Zudem fanden Kinder in akuten Krisensituationen einen geschützten Platz. Auch die Begleitung von Pflegekindern und Pflegefamilien zählt zum umfassenden Aufgabengebiet der größten privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Vorarlbergs. „Ob präventiv, ambulant oder stationär – alle unsere Fachbereiche spüren die massiven Auswirkungen der letzten drei Jahre“, sagt Vorarlberger Kinderdorf-Geschäftsführerin Alexandra Wucher anlässlich der Veröffentlichung des Tätigkeitsberichts für das Jahr 2022. Angesichts anhaltend hoher Auslastungen und Personalnot sei die Einrichtung in jeder Hinsicht gefordert. „In einigen Fachbereichen sind wir kapazitätsmäßig an unserer Grenze angekommen. Eine Entspannung ist derzeit nicht absehbar.“
So viele Zuweisungen wie noch nie
Gestiegen sind die Zahlen vor allem im präventiven Bereich. So setzte sich der kontinuierliche Zuwachs von Neuzuweisungen an „Netzwerk Familie“ fort. Im Vorjahr waren es um 16 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2021 und damit so viele wie noch nie seit der Gründung 2009. Der Präventivfachbereich unterstützt werdende Eltern und Familien mit Kleinkindern bis drei Jahre. 497 Familien mit knapp 1000 Kindern waren es im Vorjahr, denen durchschnittlich 13 Monate lang unter die Arme gegriffen wurde.
Immer mehr junge Eltern brauchen Hilfe
Die Belastungen für Eltern seien massiv gewachsen und komplex. Faktoren wie soziale und sprachliche Isolation, finanzielle Probleme und große Zukunftsängste stehen dabei im Vordergrund, wie Christine Rinner berichtet. „Ein Leben am Limit macht Stress, macht verletzlich und krank“, so die Leiterin von „Netzwerk Familie“. „Immer mehr Familien fühlen sich alleine gelassen und nicht ernst genommen. Dabei bräuchten Eltern gerade während der Familiengründung und mit kleinen Kindern Sicherheit, Unterstützung und Verständnis“, hält Rinner fest und fordert einen Ausbau der „Frühen Hilfen“. Denn in keiner Lebensphase ist Unterstützung so wirkungsvoll wie in den ersten Lebensjahren, wo langfristig die Weichen für Lebensqualität, sozioökonomische Lage und Gesundheit gelegt werden können. Und sie macht sich auch gesellschaftlich bezahlt. Laut Studien ist der ,Return on investment‘ für gesundheitsförderliche Maßnahmen in der frühen Kindheit am höchsten, und dann getätigte Investitionen kommen um ein Vielfaches zurück. Hier setzen auch neue präventive Hilfen des Vorarlberger Kinderdorfs an. Durch die „Schnellhilfe Plus“ und das bereits mehrfach ausgezeichnete „Familienimpulse Mobil“ werden Eltern in ihren Gesundheits- und Sozialkompetenzen gefördert. Über 900 Erwachsene mit 850 Kindern konnten 2022 durch diese Angebote des Fachbereichs „Familienimpulse“ in ihrem Lebensraum erreicht werden.
Kinder für Veränderung stärken
Dass ihr Aufwachsen von Jahrhundertkrisen und einem Krieg überschattet ist, hinterlässt auch bei Kindern und Jugendlichen deutliche Spuren. Angststörungen, Depressionen, Schlafprobleme und Suizidgedanken haben in dieser Altersgruppe erheblich zugenommen. Kinder machen sich Sorgen um die Zukunft und ihre persönliche familiäre Situation. „Nie hatte die junge Generation mehr Herausforderungen zu bewältigen als heute“, sagt Simon Burtscher-Mathis, Geschäftsführer des Vorarlberger Kinderdorfs. Demografischer und wirtschaftlicher Wandel, Klimaerwärmung, Digitalisierung, Individualisierung und andere Transformationsprozesse würden sich auf die Lebensbedingungen der Kinder auswirken. Es gelte, Kinder für Veränderung zu stärken und ihnen Erfahrungen zu ermöglichen, durch die sie Zugehörigkeit und Anerkennung erleben. „Das stärkt auch die Gesellschaft, denn Kinder, die sich eingebunden fühlen, sind später eher bereit, sich für den Lebensraum Vorarlberg einzusetzen“, so der Soziologe. Seitens des Vorarlberger Kinderdorfs wird für ein starkes Miteinander plädiert, um Kindern Chancen und Perspektiven unabhängig ihrer Herkunft zu eröffnen und Lebenswege in sichere Bahnen zu lenken: „Wir erleben bei den von uns betreuten Familien vermehrt eine tiefgreifende Erschöpfung, Unsicherheit und Zukunftsängste. Je knapper die Ressourcen werden, umso zielgerichteter sollten sie dort eingesetzt werden, wo sie am nötigsten sind – mit weniger Bürokratie und Gießkanne, mit gegenseitigem Vertrauen und sozialem Miteinander.“
Vorarlberger Kinderdorf 2022 – Zahlen & Fakten
323 Mitarbeitende setzten sich in 7 Fachbereichen für den Schutz, die Rechte und gleiche Chancen für benachteiligte Kinder & Jugendliche sowie deren Familien ein. 4233 Kinder und Jugendliche sowie deren Familien wurden unterstützt und gefördert.
2705 Kinder und Jugendliche wurden durch präventive Angebote und Frühe Hilfen, 985 Kinder ambulant sowie 86 Kinder und Jugendliche in Wohngruppen und Kinderdorffamilien betreut. 198 Kinder lebten in Pflegefamilien, 25 Kleinkinder und Babys wurden in Krisenpflegefamilien vorübergehend liebevoll umsorgt. Zudem bekamen 87 Erwachsene und junge Careleaver ermutigende Rückenstärkung durch die Ehemaligenbegleitung.
Über 12.600 Privatpersonen und 350 Unternehmen knüpften durch Spenden und freiwilligen Einsatz am Netzwerk der Solidarität für benachteiligte Kinder und Jugendliche sowie deren Familien in Vorarlberg.