
„Leben wir vor, was kleine Schritte bewirken“
Das Vorarlberger Kinderdorf betreute im Vorjahr knapp 3200 Kinder und Jugendliche in Vorarlberg. Neue Angebote wie der Kletterturm Kids Buin schaffen ermutigende Erfahrungsräume.
„Ich trau mich, ich schaff‘ das – auch wenn es nicht so einfach ist“, das sagt der Blick des Mädchens auf dem Cover des druckfrischen Jahresberichts des Vorarlberger Kinderdorfs, das gerade den Kids Buin erklimmt. 340 Mitarbeitende des Vorarlberger Kinderdorfs haben sich im Vorjahr dafür stark gemacht, genau dieses Gefühl in Kindern zu wecken. „Die offene, wertschätzende und liebevolle Haltung unserer Mitarbeitenden zu den Kindern schenkt ihnen eine zweite Chance, neue Wege zu gehen, Herausforderungen anzunehmen und keine Angst vor Fehlern zu haben“, so die Geschäftsführenden Alexandra Wucher und Simon Burtscher-Mathis.
Gipfelmomente am Kids Buin
Für insgesamt 3176 benachteiligte Kinder wurden mit präventiven, ambulanten und stationären Angeboten gemeinsam mit den Eltern neue Perspektiven erarbeitet. Darüber hinaus setzte das Vorarlberger Kinderdorf mit Innovationen starke Akzente: Über 1800 Gipfelstürmer:innen, darunter 1200 Kinder, erlebten den im April 2024 eröffneten Kletterturm Kids Buin als inklusiven und frei zugänglichen Begegnungs- und Erfahrungsort. Auch das „Familienimpulse Mobil“ bewegte: In sieben Siedlungen profitierten knapp 1000 Elternteile und über 940 Kinder von dem Vernetzungsangebot.
Stärkung traumatisierter Kinder
80 Kinder wurden im Vorjahr in Wohngruppen des Kinderdorf Kronhalde und der Paedakoop betreut. 62 dieser Kinder und Jugendlichen lebten in sechs Familiären Wohngruppen im Unterland. Sie haben traumatisierende Erfahrungen hinter sich, Verletzungen, Vernachlässigung und Verlust erlebt. „Wir schaffen Lebens- und Lernerfahrungen, durch die Kinder selbstbewusst werden und lernen, sich in dieser Welt zurecht zu finden“, sagt Kinderdorf Kronhalde-Leiter Jürgen Schwendinger. Auch die Padedakoop setzt sich dafür ein, junge Menschen in ihrer persönlichen, sozialen und emotionalen Entwicklung zu unterstützen. Der heute 25-jährige Dominic Ackerer verbrachte als Jugendlicher zwei Jahre in der Tagesbetreuung der Paedakoop. Diese Zeit bezeichnet er als prägende und zukunftsweisende Erfahrung. Der damals 15-Jährige wurde durch die Trennung der Eltern aus der Bahn geworfen, eckte überall an, verweigerte die Schule. „In der Paedakoop wurde mir klar, welches Potenzial in mir steckt und dass Veränderungen ein Teil des Lebens sind.“
Schweigen aus Scham
Sich in schwierigen Lebenssituationen neu orientieren und Kraft schöpfen, um das Leben wieder in den Griff zu bekommen, müssen jene Familien und Alleinerziehenden, die ambulant und präventiv begleitet werden. 403 Familien mit 917 Kindern bekamen durch den Familiendienst Rückenstärkung. Und auch Netzwerk Familie setzt alles daran, Familien mit kleinen Kindern möglichst früh zu unterstützen. Über 900 Kinder leben in den 468 Familien aus 55 Nationen, die Netzwerk Familie im Vorjahr begleitete. Auffallend hoch war mit knapp 70 Prozent der Anteil an armutsgefährdeten Familien. Vielen von ihnen fällt es schwer, über ihre Geschichte zu sprechen. Oft tun sie das nur unter der Voraussetzung, anonym zu bleiben. „Das Schwerste war für mich, Hilfe anzunehmen“, sagt Frau D. Auch Frau S. hat aus Scham, Angst und dem Gefühl, versagt zu haben, lange über die Gewaltübergriffe ihres Mannes geschwiegen. „Es musste erst ganz schlimm werden, bis ich Unterstützung annahm.“
Die zweite Chance
Seitens des Vorarlberger Kinderdorfs wird die Vorbildwirkung betont, die uns allen zukommt: Anstatt Kinder zu perfektionieren und ihnen Angst vor Fehlern zu vermitteln, sei es zukunftsweisender, den Fokus auf die Möglichkeiten zu richten, die Veränderungen in sich bergen. „Leben wir vor, was kleine Schritte bewirken können und geben wir uns allen immer wieder eine zweite Chance“, so Wucher und Burtscher-Mathis.
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